Experteninterview Ernährung und CKD 04.08.2023 – Dr. med. Susanne Fleig, Aachen, beantwortet alle Fragen rund um das Thema Ernährung bei chronischer Nierenkrankheit. Gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ernährung und Nierenerkrankungen? Kann man durch Ernährung die Nierenfunktion beeinflussen? Susanne Fleig: Was wir essen, beeinflusst unsere Nährstoffaufnahme. Welche und wie viel der unterschiedlichen Nährstoffe wir zu uns nehmen, hat wiederum Einfluss auf die Funktion nahezu aller Organe. Über verschiedene Kostformen, gesündere und solche, die weniger gesund sind, ist bekannt, dass sie vor allem das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen beeinflussen. Ähnelt die eigene Ernährung z.B. einer „Western Diet“ mit vielen gesättigten Fettsäuren, viel Fett, wenig Frischem und wenig Ballaststoffen, führt das zu Übergewicht, Stoffwechselstörungen und Bluthochdruck. Damit steigt das Risiko für kardiovaskuläre Schäden mit Folgen für weitere Schäden an den Organen. Über diesen „kleinen Umweg“ sind dann auch die Nieren betroffen. Im Gegensatz verhindern mediterrane Kostformen kardiovaskuläre Schäden. So dass man sagen kann, eine herzgesunde Ernährung ist auch gut für die Nieren. Umgekehrt wächst mit abnehmender Nierenfunktion das kardiovaskuläre Risiko. Liegt eine chronische Nierenerkrankung (CKD) vor, haben kardiovaskuläre Ereignisse das höchste Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. Es wurde gezeigt, dass ein linearer Zusammenhang zwischen dem CKD-Stadium (1 bis 5) und der Häufigkeit eines Herzinfarktes, Schlaganfalls oder anderer kardiovaskulärer Ereignisse besteht. Je schlechter die Nierenfunktion ist, desto höher ist das kardiovaskuläre Risiko. Mit einer Umstellung der Essgewohnheiten kann das Fortschreiten der Niereninsuffizienz verlangsamt und damit wiederum das kardiovaskuläre Risiko reduziert werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Darmmikrobiom, das ungefähr 1018 Mikroorganismen umfasst. Darin gibt es verschiedene Bakterienpopulationen. Welche der verschiedenen Mikroorganismen jeder Mensch hat, ist quasi angelegt, aber wie viele man von welcher Art hat, hängt stark davon ab, was man isst. Was wir essen, ist das Substrat für die Bakterien und steuert, welche Populationen sich vermehren können. Wenn wir z. B. Ballaststoffe zu uns nehmen, stärken wir die Bakterienpopulation, die Ballaststoffe in kurzkettige Fettsäuren verwandelt: Butyrat, Propionat und Acetat. Diese dienen unter anderem als Energielieferanten für die Zellen unserer Darmwand, wir können sie aber nicht selbst herstellen. Führt man über die Ernährung ausreichend Ballaststoffe zu, werden mehr kurzkettige Fettsäuren gebildet und dann ist der Darm gesünder, die Darmepithelbarriere ist nicht gestört. Gleichzeitig entstehen im Darm sogenannte „Urämietoxine“, vor allem aus dem Abbau von Eiweißen durch andere Bakterienspezies. Diese Stoffe reichern sich bei eingeschränkter Nierenfunktion an und fördern die Entstehung von Atherosklerose und anderen gefäßschädigenden Prozessen. Nimmt man nur wenige Ballaststoffe zu sich, beginnen die Eiweiß-zersetzenden Bakterien zu wuchern. Das führt dazu, dass extrem viele Urämietoxine anfallen. Mit einer normalen Nierenfunktion werden diese ausgeschieden, bei eingeschränkter Nierenfunktion reichern sie sich an. Mit einer ballaststoffreichen Ernährung kann man also den vermehrten Anfall dieser Toxine vermeiden, weil die Bakterienpopulationen im Darm im Gleichgewicht bleiben. Gibt es eine Art „Nierengift“, also etwas, das über die Ernährung die Niere direkt schädigt, ähnlich, wie man z. B. weiß, dass Alkohol die Leber zerstört? Fleig: Eine direkte Schädigung der Nieren geschieht weniger durch Nahrungsmittel als eher durch Medikamente, die die Nieren belasten. Dazu gehören z. B. nicht-steroidale Antiphlogistika oder auch bestimmte Antibiotika. Und es gibt manche Pflanzen und Kräuter, die nephrotoxische Stoffe enthalten, z.B. Osterluzeigewächse wie der Haselwurz. Pflanzenteile enthalten Aristolochia-Säure, die kanzerogen und nephrotoxisch ist und die sog. „Balkan-Nephropathie“ verursacht. In unseren Breiten sind diese aber nicht verbreitet. Problematisch ist auch die Sternfrucht: sie enthält ein Toxin, „Caramboxin“, das besonders für nierenkranke Patienten schädlich ist (wegen der eingeschränkten Ausscheidung); es verursacht neurologische Symptome wie Erbrechen, Taubheitsgefühle und Muskelschwäche bis hin zu epileptischen Anfällen. Und manche Menschen neigen zu Nierensteinen und sollten daher Oxalsäure meiden. Von diesen seltenen Ausnahmen abgesehen, gibt es nicht das Nierengift in Nahrungsmitteln. Aber mit einer CKD sollte man durchaus auf einige Dinge in der Ernährung achten. Das betrifft u. a. den Salz- und Phosphatgehalt vieler Lebensmittel. So ist in Geschmacksverstärkern sehr viel Phosphat enthalten, und diese finden sich in Fertiggerichten sowie auch in Softdrinks oder Cola. Darauf sollten Betroffene verzichten, weil Phosphat zur Gefäßschädigung beiträgt. Besonders CKD-Patienten sollten aber auch wissen, dass es auf die „Phosphat-Quelle“ ankommt: Als Zusatzstoff in Fertiggerichten wird es zu einem viel höheren Anteil vom Körper aufgenommen als aus natürlichen Quellen wie Salat oder Gemüse. Ist eine vegetarische Ernährung per se besser als andere Ernährungsformen? Fleig: Nicht unbedingt. Man kann sich auch vegetarisch sehr ungesund ernähren, nämlich, wenn man zu wenig frische pflanzliche Nahrungsmittel zu sich nimmt. In Fleischersatzprodukten aus dem Supermarktregal sind sehr viele Phosphate und andere ungesunde Zusatzstoffe enthalten. Auch NussNougat-Cremes sind zwar vegan, aber nicht gesund. Oder Nudeln: eindeutig vegetarisch. Wenn man sie dann aber z. B. mit Ketchup isst, ist das zwar immer noch vegetarisch, aber ungesund. Das heißt, die Zusammensetzung dessen, was man isst, ist entscheidend. Ab wann gilt man als nierenkrank und braucht evtl. Medikamente oder sollte sich zumindest „herzund damit nierengesünder“ ernähren? Fleig: Die Nierenfunktion wird anhand verschiedener Kriterien eingeschätzt. Wichtige Laborwerte sind z. B. der Kreatininwert und die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR). Wenn die eGFR unter 60 ml/min/1,73 m2 fällt (normal sind ca. 90-120 ml/min/1,73 m2), weist das auf eine Einschränkung der exkretorischen Nierenfunktion, also auch der Ausscheidung von Urämietoxinen hin. Wird Eiweiß im Urin festgestellt („Proteinurie“), zeigt das meist eine Störung des glomerulären Filters an. Eine Eiweißausscheidung im Urin hat meist einen pathologischen Hintergrund und ist mit einem schnelleren Fortschreiten der Nierenfunktionsstörung vergesellschaftet. In diesen Fällen sollte man nach den Ursachen suchen, denn diese sind in vielen Fällen behandelbar. Mittlerweile gibt es gut verträgliche Medikamente, die die Eiweißausscheidung im Urin vermindern und ein Fortschreiten der Nierenerkrankung verlangsamen. Wann ist eine Diätberatung indiziert und was wird empfohlen? Fleig: Nach gesicherter Diagnose einer chronischen Nierenerkrankung und Einleitung einer entsprechenden Behandlung ist es durchaus immer sinnvoll, eine Ernährungsberatung zu machen. Diese sollte in Richtung kardiovaskulär gesunder Ernährung gehen, d. h. pflanzenbasierte Kostformen (2/3 Ballaststoffe, max. 1/3 Fisch oder Fleisch auf dem Teller bzw. pro Woche). Den positiven Effekt für die kardiovaskuläre Gesundheit zeigen sehr gute Studiendaten. So helfen fett- und cholesterinarme Ernährungsformen wie die DASH-Diät („Dietary Approaches to Stop Hypertension“), oder die OkinawaDiät, das Gewicht und den Stoffwechsel zu normalisieren, erhöhten Blutdruck zu senken und damit das Herz, die Gefäße und Nieren zu schützen. Auch für die Mediterrane Kost sind diese Effekte belegt; gemeinsam ist diesen Diätformen ein hoher Ballaststoffanteil. Außerdem sollte man seinen Kochsalzkonsum einschränken (max. 5 g pro Tag). Diese Empfehlungen gelten im Übrigen nicht nur für nierenkranke, sondern für alle Menschen. Bei der Ernährungsberatung Nierenkranker gibt es aber noch einige Besonderheiten, z. B. bezüglich des Phosphats, des Kaliums und der Eiweißzufuhr. Hierbei ist nach heutigem Wissensstand ein Umdenken erforderlich. Weil man weiß, dass in Obst und Gemüse viel Kalium drin ist, wurde bisher noch häufig in die Richtung beraten, dass man sagte, „essen Sie wenig Obst und Gemüse, um eine Hyperkaliämie zu vermeiden“. Dabei wird aber vergessen, dass man damit den Leuten die frischen pflanzlichen Lebensmittel und Ballaststoffe entzieht, und dass ein Stück Fleisch womöglich genauso viel Kalium enthält. Man sollte also bei Obst und Gemüse differenzieren, wie hoch ist der Anteil an Kalium und wie hoch ist der Ballaststoffanteil, und die Sorten, die verhältnismäßig wenig Kalium und viele Ballaststoffe haben, dann auf alle Fälle weiterhin empfehlen. Sind die Kaliumwerte erhöht, sollte man auch nicht zuerst bei der Ernährung ansetzen, sondern nach anderen möglichen Ursachen forschen und diese beheben. Die Beeinflussung des Kaliums durch die Ernährung ist wesentlich geringer als oft angenommen. Auch beim Eiweiß ändert sich im Moment der Trend. Eine strenge Eiweißrestriktion wie früher wird nierenkranken Menschen nicht mehr uneingeschränkt empfohlen. Dass eine proteinarme Ernährung förderlich sein kann, geht auf die große MDRD-Studie („The Modification of Diet in Renal Disease Study“) aus dem Jahr 1989 zurück. Darin wurdedie Hypothese überprüft, ob das Fortschreiten einer CKD durch niedrigere Eiweißzufuhr verlangsamt werden kann. Man hatte einen kleinen Unterschied im Abfall der GFR über die Zeit gesehen. Der war nicht hoch, aber signifikant. Deshalb hatte man damals gesagt, wir haben keine Medikamente, um das zu beeinflussen, aber anscheinend weniger GFR-Abfall, wenn man weniger Eiweiß zu sich nimmt. Mittlerweile haben wir aber Medikamente, die einen wesentlich höheren Effekt zeigen! Mit dem Verzicht auf Eiweiß steigt aber das Risiko einer Mangelernährung. Denn man muss bedenken, dass der Körper Eiweiß braucht, um die eigene Muskelmasse zu erhalten. Nimmt man zu wenig Eiweiß zu sich, werden Muskeln und Knochen abgebaut, man kommt die Situation eines „Protein Energy Wasting“ und rutscht in die sog. Sarkopenie (Muskelschwund). Patientinnen und Patienten mit Mangelernährung und Sarkopenie haben ein wesentlich höheres Mortalitätsrisiko. Der Fokus sollte deshalb darauf liegen, den Muskelzustand mindestens zu erhalten. Dazu sind ca. 0,8 g pro kg KG Eiweiß pro Tag notwendig. Auch in den letzten Ernährungsleitlinien der KDIGO ist eine eiweißreduzierte Ernährung nur noch für „metabolisch stabile“ Patientinnen und Patienten empfohlen; dies betrifft nur noch einen kleinen Anteil der CKD-Population. Im Übrigen stehen wir heute therapeutisch wesentlich besser da als zu Zeiten der Studie: wir haben jetzt die SGLT2-Hemmer, die viel besser sind als nur eine eiweißarme Diät. Mit ihnen können wir signifikant die CKD-Progression verlangsamen. Eine Studie, die untersucht, ob eine eiweißarme Diät zu dieser medikamentösen Therapie einen zusätzlichen Nutzen hat, ist bislang nicht veröffentlicht. Macht es auch, wie beim Phosphat und Kalium, einen Unterschied, ob man Eiweiß aus pflanzlicher oder tierischer Ernährung zu sich nimmt? Fleig: Ja, und das ist durchaus relevant. Über Jahre war die Lehrmeinung, dass tierisches Eiweiß biologisch höherwertig sei als pflanzliches und hat deswegen empfohlen, mehr tierisches Eiweiß zu essen. Das ist mittlerweile widerlegt: Man weiß inzwischen, dass – wenn man sein Eiweiß aus verschiedenen pflanzlichen Quellen bezieht, Hülsenfrüchten, Körnern usw., man sich also nicht einseitig ernährt – auch alle Aminosäuren enthalten und verfügbar sind, die man braucht. Es gibt Studien aus Japan, in denen untersucht wurde, ob mit einer pflanzenbasierten Diät oder mit pflanzlichem Eiweiß die Sarkopenie behandelt werden kann. Das ist gelungen. Man kann auch mit rein pflanzlichen Eiweißquellen Muskulatur wieder aufbauen; die tierischen Eiweiße sind also nicht „besser“! Es gibt ja diese Diätdrinks, Eiweißshakes nach dem Sport etc. Sind diese (pflanzlichen) Eiweißquellen für nierenkranke Menschen empfehlenswert, wenn sie etwas für ihre Gesundheit tun und vielleicht abnehmen wollen? Fleig: Ergänzend ja, aber als „Kur“ nicht. Ich glaube, es ist gesünder, wenn man versucht, alles, was sicher auch an Gutem in diesen Produkten drin ist, über eine gesunde Mischkost zu sich zu nehmen. Und diese Shakes sind ja prozessierte Nahrungsmittel, die wieder Geschmacksverstärker und ähnliches enthalten. Ein Punkt ist auch wichtig: wenngleich eine deutlich eiweißreduzierte Diät nicht mehr empfohlen ist, sind die 0,8g/kg KG Eiweiß in einer normalen Ernährung recht schnell erreicht, und die Empfehlung kehrt sich nicht ins Gegenteil um: Es wird keine besonders proteinreiche Kost bei CKD empfohlen, es sei denn, es besteht bereits eine Mangelernährung oder eine Sarkopenie, die dies begründet. Mit einer eingeschränkten Nierenfunktion hat man ein hohes Risiko für Mangelernährung. Maßnahmen, um Körpergewicht zu reduzieren, sollten ärztlich oder ernährungstherapeutisch begleitet werden. Bzgl. des Eiweißes muss man auf die Zusammensetzung schauen; es wird ja deklariert, wie viel Eiweiß in solch einem Shake drin ist. Und auf den Tag hochgerechnet, weiß man dann, wie viel man bezogen auf sein Körpergewicht zu sich nimmt. Wegen des Muskelaufbaus kann es durchaus sinnvoll sein, vor oder nach dem Sport eine höhere Eiweißmenge zu sich zu nehmen. Aber auch hier gilt, wie insgesamt bei der Ernährung, dass man Exzesse in jeder Hinsicht vermeiden sollte. Vielen Dank für dieses Gespräch!